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Unbeliebt aber notwendig
8. November 2025 / Rainer Juriatti
Mein Name ist Rainer Juriatti. Gute Freunde sagen Yuri zu mir. Das sind aber ganz wenige. Weil ich nur wenige so gute Freunde habe, dass sie Yuri zu mir sagen dürfen. Es mag an mir liegen, das gebe ich gerne zu. Ich bin Sternenkindvater. Das allein schon heißt viel. Ich bin es seit mehr als dreißig Jahren und seit mehr als dreißig Jahren prägt es mein Dasein. Das verändert. Viele Dinge im Leben, die mir vor meinen Sternenkindern wichtig waren, sind es heute längst schon nicht mehr. Das macht Freundschaften schwer. Wenn sich der Fokus radikal verändert. Und ich auch immer vom selben rede. Das ist schwer auszuhalten.
Und dann bin ich auch noch Sternenkindfotograf. Auch das verändert. Ich sehe zu viel: Krankenschwestern zum Beispiel, die Sternenkindeltern nichts von mir und meiner Frau sagen: dass wir kommen würden, ehrenamtlich, um ein Bild des verstorbenen Kindes zu machen. Wir wissen, wie wichtig so ein Bild ist. Die Krankenschwester, die Auskünfte verweigert, weiß es auch. Sagt aber nichts. Das ist böse, denke ich, und die leitende Stationsschwester, die nichts sagt, handelt schäbig. Ich sehe Chefärztinnen und Chefärzte, die in ihren Krankenhäusern Sternenkindfotografie verbieten, weil sie keinen Blick von außen zulassen. Man könnte ihre Unzulänglichkeiten entdecken. Ich sehe Hebammen, die von sich behaupten, selbst schöne Bilder verstorbener Kinder machen zu können. Weinende Sternenkindeltern zeigen mir später dann die Ergebnisse: Würdelose Aufnahmen, nackte, deformiert wirkende Körperchen, verblitzte, unscharfe und perspektivenlose Bilder. Solche, die jeder vernünftige Mensch sofort von seinem Smartphone löschen würde.
Mein Name ist Rainer Juriatti. Gute Freunde sagen Yuri zu mir. Ich habe aber keine. Nicht unter Ärzten, nicht unter Krankenschwestern, nicht unter Hebammen. Weil ich sage, was ich denke. Dass es schäbig, des Menschen unwürdig und am Ende dumm ist, wie sie handeln. Das macht keine Freunde. Ich bin aber nicht auf dieser Welt, um zu glänzen. Ich bin nicht hier, um freundlich zu sein. Ich bin hier, um zu denen zu gehen, die in der schlimmsten ihrer Lebensphasen stecken. Die ein totes Kind in ihren Armen halten und nicht wissen, wie es weitergeht. Ich bin nachts unterwegs, um einem sterbenden Kind würdig zu sein, indem ich von seinen letzten Atemzügen ein Bild mache. Ich bin hier, um einem weinenden Vater auf einem kalten Krankenhausflur den Arm um die Schulter zu legen und bei einem lauwarmen Automatenkaffee zu beantworten, wie ich selbst fünf Sternenkinder überleben konnte, weil er in diesem Moment am liebsten selbst sterben würde. Ich stehe am Totenbett der Sternenkinder, um das Leid der Eltern einzufangen, während sie ihr Kind ein einziges Mal nur wickeln und pflegen können.
Ich bin hier, um diese Eltern zu begleiten, während sie versuchen, das Wunder des Lebens wiederzufinden. Ein Wunder nämlich, das bleibt es. Und dies alles bringt mir keinen Ruhm, dies alles macht mich nicht zur fröhlichen Stimmungskanone. Aber es ist echt, es ist wahr. Es ist das Leben.
(Zum Hintergrund dieses Kurz-Essays: Immer wieder begegnen mir Bilder von Sternenkindern, gefertigt vom Personal steirischer LKHs, die gelinde ausgedrückt "eine Schande" für den Pflegeberuf sind. Darüber hinaus werden wir von verantwortlichen Ärzt*innen seit Jahren nicht ernst genommen, resp. wird Stationsleiterinnen erlaubt, uns offen zu boykottieren und werden Eltern wesentliche Informationen über die Zeit danach vorenthalten.)
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