In den elf Monaten der Vorbereitung auf den Start wurde ich oft gefragt, warum ich mir diese Strapazen antun werde. Hier also die Grundmotivation, die aus einigen mir sehr wichtigen Aspekten besteht:
Ich weiß, dass ich oft sehr einsam sein werde. Ich weiß auch, dass ich zeitweise große Schmerzen zu ertragen haben werde. Ganz generell ist Schmerz eines der prägenden Gefühle, das Sternenkindeltern ein Leben lang mit sich tragen. Und Einsamkeit ist das zweite prägende Gefühl, mit dem Sternenkindeltern durch ihr Leben „laufen“. Aber Schmerz wie auch Einsamkeit müssten nicht sein. So bin ich denn müde. Seit mehr als dreißig Jahre bin ich es.
Ich bin es müde, immer und immer wieder von Sternenkindern sprechen zu müssen, anderen lästig zu sein und auch unangenehm aufzufallen, damit Sternenkinder eine Stimme bekommen. Ich bin es müde, dabei oft in betretene Gesichter zu blicken und zu erkennen, dass sie sich gleich im Anschluss an unser Gespräch – oder nachdem sie geduldig zugehört haben – nicht weiter mit diesem traurigen Thema belasten werden. Ich bin es müde, zu sehen, wie Eltern, die kein Kind in ihren Armen halten, sowohl in ihrem engsten Umfeld als auch im gesellschaftlichen Miteinander nicht als Eltern anerkannt werden. Ich bin es müde, in manchen Kliniken ungläubiges Kopfschütteln zu ernten, da nicht erkannt wird, dass es sich bei Sternenkindern um den tiefsten Schmerz handelt, der eine Mutter und einen Vater ergreifen kann. Ich bin es müde, in manchen Krankenhäusern um die Sternenkindfotografie betteln zu müssen, da sie nicht aktiv angeboten wird, weil man dort glaubt, das könne eine Hebamme oder eine Krankenschwester genauso gut. Ich bin es müde, von Sternenkindeltern immer wieder zu hören, dass sie selbst recherchieren mussten, um Hilfe zu bekommen und sich von ihren behandelnden Ärzt*innen im Stich gelassen fühlten. Ich bin es müde, in der Gesetzgebung halbherzige Zugeständnisse hinnehmen zu müssen, da nach wie vor nicht allen Sternenkindmüttern Mutterschutz zuerkannt wird. Und ich bin es müde, um Geld für unsere Arbeit betteln zu müssen, da viele Förderstellen der Ansicht sind, uns brauche es nicht. Ich bin es schließlich müde, erkennen zu müssen, dass in unendlich vielen Gemeindeämtern in Österreich weitreichende Blindheit vorherrscht, obwohl die Verantwortlichen wissen, dass es auch in ihrer Gemeinde zahlreiche Sternenkindeltern gibt.
Viktor Frankl sagt, Leiden zu tragen, das sei eine große Leistung des Menschen. Sternenkindeltern erbringen durch das Erdulden von Schmerz und Einsamkeit eine enorme Leistung. Dies mitzutragen, muss somit eine Leistung des sozialen Lebens und unserer ganzen Gesellschaft werden. Deren Schmerz zu teilen führt Sternenkindeltern aus ihrer Einsamkeit, da es selbstverständlich werden muss, dass sie öffentlich darüber sprechen dürfen und auch verständnisvoll darauf angesprochen werden. Die Fassungslosigkeit und Entrüstung über den Tod eines Kindes muss vom engsten sozialen Umfeld, jeder einzelnen Gemeinde nämlich, so selbstverständlich angenommen und bestätigt werden, wie jeder andere Verstorbene, der Teil unserer Gesellschaft war, angenommen und durch Beileidsbekundungen bestätigt wird.
Sternenkinder, auch wenn wir ihnen nicht persönlich begegnet sind, haben eine Biografie. Sie wirken in ihren kurzen Leben enorm, prägen ihre Mütter und Väter grundlegend. Es ist eine Sache der Würde und des Respekts, dies zu erkennen und in Folge Sternenkindeltern nicht durch Tabuisierung auszugrenzen. Niemand darf fordern, dass alles wieder so wird wie davor. Denn mit einem Gedenkstein auf dem Gemeindefriedhof ist es längst nicht abgetan.
Rainer Juriatti - Sternenkind-Aktivist